Tübingen, 08.04.2024

Blutzuckereinstellung auf der Intensivstation: Differenzierte Werte für Menschen mit und ohne Diabetes sind sinnvoll

Bei der Einstellung und Überwachung des Blutzuckers von Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation kann es sinnvoll sein, zwischen Menschen mit und ohne Diabetes zu unterscheiden. Darauf weisen die Autoren Andreas Birkenfeld, DZD-Sprecher und Ärztlicher Direktor der Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie, Universitätsklinik Tübingen, und Christian von Loeffelholz, Universitätsklinikum Jena, in einem Meinungsartikel im Fachmagazin ‚Lancet D&E‘ hin. Sie unterstreichen die Bedeutung personalisierter Therapien für Intensivpatienten mit Diabetes, weisen aber auch auf die Notwendigkeit weiterer detaillierter Daten und Studien hin.

Stressbedingte Hyperglykämie, Hypoglykämie und Diabetes treten bei schwerkranken Patient:innen häufig auf. Um Komplikationen zu vermeiden, wird bei anhaltenden Blutzuckerwerten über 10,0 mmol/L eine Insulintherapie empfohlen, wobei ein Zielbereich von 7,8-10-0 mmol/L angestrebt wird. Aktuelle randomisierte kontrollierte klinische Studien stellen diese Empfehlungen in Frage und zeigen, dass es Unterschiede in der Risikoeinschätzung und im Blutzuckermanagement zwischen Intensivpatient:innen mit und ohne Diabetes gibt. Für bestimmte Patient:innengruppen könnten strengere Zielwerte gelten. Aktuelle Empfehlungen unterstützen glykämische Ziele von 6,1–7,8 mmol/L. Hier ist es wichtig, individuelle Unterschiede zu berücksichtigen und die Blutzuckerwerte sorgfältig zu überwachen, um ein Gleichgewicht zwischen strengen Zielwerten und der Vermeidung von Hypoglykämien zu finden. Dabei könnten computergestützte Algorithmen für das Blutzuckermanagement und innovative Technologien wie das kontinuierliche Glukosemonitoring helfen.

Die Autoren betonen die Bedeutung personalisierter Therapien für Intensivpatient:innen mit Diabetes, da individuelle Risikoprofile und Blutzuckertoleranzen variieren können. So deuten Beobachtungsstudien auf eine erhöhte Sterblichkeitsrate bei liberaler Glukosekontrolle bei Patienten mit einer HbA1c-Aufnahme von weniger als 6,5% hin. Das könnte auf die Existenz von Untergruppen von Menschen mit Diabetes hinweisen, die von strengeren Blutzuckerzielen profitieren könnten. Bei Intensivpatient:innen mit Diabetes könne ein prästationärer HbA1c-Wert von mindestens 8% als ein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko relativer Hypoglykämie betrachtet werden.

Die Autoren heben die Notwendigkeit weiterer Forschung hervor, um herauszufinden, welche Untergruppen von Patient:innen von strengeren Blutzucker-Grenzwerten profitieren könnten. Wichtig sei auch, geschlechtsspezifische Unterschiede in den Blutzuckergrenzen von Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen genauer zu untersuchen, ebenso wie die möglichen Auswirkungen des weiblichen Menstruationszyklus auf die Blutzuckerwerte.

In einer Ära technologischer, bioinformatischer und therapeutischer Fortschritte sowie der zunehmenden Bedeutung präziser Strategien sei es wichtig, neue Ansätze zu testen, um verbesserte Behandlungsoptionen für alle Intensivpatient:innen anzubieten. Die Autoren appellieren, dass alle Interessengruppen zusammenarbeiten sollten, um dieses wichtige Ziel zu erreichen.

 

Original-Publikation:
Christian von Loeffelholz , Andreas L Birkenfeld 2024: Tight versus liberal blood-glucose control in the intensive care unit: special considerations for patients with diabetes. The Lancet Diabetes and Endocrinology. DOI: 10.1016/S2213-8587(24)00058-5


Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Andreas Birkenfeld
Telefon: 07071 29-82735
E-Mail: andreas.birkenfeld(at)med.uni-tuebingen.de


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