Tricktherapie mit Schilddrüsenhormon: Die Leber bekommt ihr Fett weg

Neuherberg, 10.10.2016. Ein neu entwickelter Wirkstoff benutzt ein natürliches Hormon, um ein anderes gezielt in Leberzellen einzuschleusen – um dort den Stoffwechsel ankurbeln und damit die sogenannte Fettleber zu beheben. Zu den durchaus erwünschten „Nebenwirkungen“ gehören vermindertes Körpergewicht, verbesserter Cholesterinstoffwechsel und weniger Gefäßverkalkung. Basierend auf einem neuartigen Konzept der Präzisionsmedizin hält es sich aber gleichzeitig von solchen Geweben fern, wo unerwünschte Effekte auftreten könnten. Wie Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum München im Wissenschaftsjournal Cell berichten, könnte der neue Wirkstoff in der Zukunft schnell und schonend gegen Fettlebern wirken.

Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkreislauferkrankungen nehmen vor allem in Industrienationen unvermindert zu, weshalb intensiv an neuen Behandlungsmethoden geforscht wird. Ein Ansatz ist die sogenannte personalisierte Medizin, bei der individuelle Therapien für bestimmte Patientengruppen maßgeschneidert werden. Adipositas- und Diabetespatienten mit Fettleber bilden solch eine Untergruppe, für die es bisher kaum Präzisions-Therapeutika gibt.

Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist nun dem Wissenschaftlerteam um Dr. Timo Müller und Prof. Matthias Tschöp am Helmholtz Zentrum München gelungen. „Ziel war es, das Schilddrüsenhormon T3 vermehrt in die Leber einzuschleusen und es möglichst von Herzmuskel und Knochen fernzuhalten“, sagt Müller, Leiter der Pharmakologie am Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) des Helmholtz Zentrums München und Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD). „Obwohl die vielversprechenden Effekte von Schilddrüsenhormonen auf den Fettstoffwechsel seit Jahrzehnten bekannt sind, konnten diese aufgrund bekannter Nebenwirkungen auf Herz und Knochen bisher nicht medizinisch genutzt werden“, so Matthias Tschöp, Direktor am Helmholtz Diabetes Zentrum und Alexander-von-Humboldt Professor an der Technischen Universität München. „Unser Trick mit dem Doppelhormon, ähnlich dem trojanischen Pferd, macht das jetzt zum ersten Mal möglich“, führt Tschöp fort, der das Konzept gemeinsam mit dem Chemiker Prof. Richard DiMarchi von der Indiana University in Bloomington, USA entwickelt hatte.

Mit trojanischem Pferd gegen Fettleber und Gefäßverkalkungen
Durch die Bindung des Schilddrüsenhormons T3 an Glukagon gelangt T3 nur in Zellen, welche den Glukagonrezeptor haben. „Der Rezeptor für Glukagon wird überwiegend in der Leber ausgebildet, fehlt aber in Herz und Knochen. Diese Beobachtung haben wir für unsere ferngesteuerte Medikamentenauslieferung benützt“, berichtet Dr. Christoffer Clemmensen, Arbeitsgruppenleiter am Helmholtz Diabetes Center und einer der beiden Erstautoren der Studie.

Im Rahmen ihrer Versuche konnten die Wissenschaftler eine Reihe positiver Effekte beobachten, die auf die Behandlung mit dem neuen Wirkstoff zurückgehen. So verbesserten sich im Versuchsmodell nicht nur der Zuckerstoffwechsel und die Cholesterinwerte, auch das Körpergewicht und die Verfettung der Leber wurde nachhaltig gesenkt.

„In unseren Augen ist die Entwicklung des neuen Wirkstoffs ein großer Schritt für die personalisierte Medizin“, erklärt Müller. „Sollte sich die Wirkung von T3 auch in klinischen Studien auf die Leber konzentrieren und sich Cholesterin dadurch sicher und gezielt senken lassen, könnte das schwerwiegende Gefäßverkalkungen aber auch Lebertransplantationen vorbeugen.“, so Prof. Susanna Hofmann von der Ludwig-Maximilians Universität, die die Untersuchungen zum Cholesterinstoffwechsel und zur Gefäßverkalkung leitete. Neben der Fortentwicklung des Wirkstoffs für die klinische Anwendung prüft das Team jetzt, welche weiteren Zielgewebe sich spezifisch ansteuern lassen, um die Wirkung von T3 dort selektiv zum Einsatz zu bringen. Müller fasst zusammen: „Das Wirkprinzip dieses neues Moleküls öffnet eine neue Tür für die Entwicklung personalisierter Stoffwechselmedizin.“


Weitere Informationen
* Bereits 2015 hatte das Team um Matthias Tschöp (Direktor des Helmholtz Diabetes Centers sowie Lehrstuhlinhaber für Stoffwechselerkrankungen der Technischen Universität München) und Richard DiMarchi (Indiana University) ein Dreifachhormon entwickelt, welches das Körpergewicht effektiv senkt und die Insulinwirkung signifikant verbessert. In einem weiteren Ansatz (ähnlich dem in dieser Studie) war es gelungen, die Wirkung von Östrogen durch Synthese mit GLP-1 gezielt auf den als Hypothalamus bekannten Bereich im Gehirn zu reduzieren.
Hintergrund:
In fettleibigen Mäusen bewirkte der neue Wirkstoff binnen weniger Tage eine Verringerung der schädlichen Cholesterinspiegel. Zudem wurde das Körpergewicht gesenkt und der Zuckerstoffwechsel verbessert, und dies ohne Nebeneffekte auf das Herz oder die Knochen. In weiteren Studien zeigte sich, dass das Molekül die klassischerweise mit Fettleibigkeit einhergehende Verfettung der Leber (Steatohepatitis) selektiv und deutlich verbessert. In Mäusen, welche auf Grund genetischer Veränderungen auf eines der beiden Hormone nicht reagieren hatte das Molekül dagegen keine Wirkung, was die zielgerichtete Wirkung des Moleküls auf die Leber beweist.

Original-Publikation:
Finan, B.& Clemmensen, C. et al. (2016): Chemical Hybridization of Glucagon and Thyroid Hormone Optimizes Therapeutic Impact for Metabolic Disease. Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2016.09.014
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Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. www.helmholtz-muenchen.de

Das Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) erforscht die Erkrankungsmechanismen des Metabolischen Syndroms mit systembiologischen und translationalen Ansätzen. Mittels zellulärer Systeme, genetisch modifizierter Mausmodelle und klinischer Interventionsstudien sollen neue Signalwege und Zielstrukturen entdeckt werden. Ziel ist die interdisziplinäre Entwicklung innovativer Therapieansätze zur personalisierten Prävention und Behandlung von Adipositas, Diabetes und deren Begleiterkrankungen. Das IDO ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC). www-helmholtz-muenchen.de/ido

Ziel der Forschung des Instituts für Experimentelle Genetik (IEG) ist, Ursachen und Entstehung menschlicher Erkrankungen zu verstehen. Durch seine leitende Funktion in interdisziplinären und internationalen Konsortien hat das IEG eine weltweit führende Position in der systemischen Untersuchung von Mausmodellen für Krankheiten des Menschen und der Aufklärung von beteiligten Genen. Schwerpunkt bilden dabei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Das IEG ist Gründer der Deutschen Mausklinik (GMC) und leitet das Europäische Maus Mutanten Archiv (EMMA). Zudem koordiniert das IEG die europäische Forschungsinfrastruktur Infrafrontier (ESFRI). Das IEG ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC). www.helmholtz-muenchen.de/ieg

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner. www.dzd-ev.de

Die Technische Universität München (TUM) ist mit mehr als 500 Professorinnen und Professoren, rund 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 39.000 Studierenden eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, ergänzt um Wirtschafts- und Bildungswissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit einem Campus in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands. www.tum.de

Die LMU ist eine der führenden Universitäten in Europa mit einer über 500-jährigen Tradition. Sie bietet ein breites Spektrum aller Wissensgebiete – die ideale Basis für hervorragende Forschung und ein anspruchsvolles Lehrangebot. Es reicht von den Geistes- und Kultur- über Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bis hin zur Medizin und den Naturwissenschaften. 15 Prozent der 50.000 Studierenden kommen aus dem Ausland – aus insgesamt 130 Nationen. Das Know-how und die Kreativität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bilden die Grundlage für die herausragende Forschungsbilanz der Universität. Der Erfolg der LMU in der Exzellenzinitiative, einem deutschlandweiten Wettbewerb zur Stärkung der universitären Spitzenforschung, dokumentiert eindrucksvoll die Forschungsstärke der Münchener Universität. www.uni-muenchen.de

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